Jedes Jahr vergibt die AOK Hessen den Empathie-Award an Pflegekräfte, die sich in dieser Hinsicht besonders ausgezeichnet haben. Mehr dazu finden sie in dem Artikel der Werra Rundschau vom 16.12.2021 .
Wir freuen uns sehr, dass in diesem Jahr unsere langjährige Mitarbeiterin Sandra Weise den Preis gewinnen konnte. Ebenfalls danken wir Susanne Klippert, die mit ihrem ausgezeichneten Text die Auszeichnung möglich gemacht hat.
Hier finden sie den Bericht von Pflegefachkraft Susanne Klippert, den sie bei der AOK Hessen eingereicht hat:
Die mit der Demenz tanzt
Herr G. ist außer sich, er ist gefangen in seiner Angst und Wut über das eigene Nicht-mehr-verstehen können. Er hält seine Bezugspflegeschwester S. fest am Arm und hat dabei eine solche Kraft, die man ihm in ruhigeren Momenten nicht mehr zutrauen würde. Zuvor hat er aufgrund seiner inneren Not in seinem Zimmer gewütet. S. hält seinem entsetzten, gleichzeitig panischen Blick stand, sie redet ruhig und mit wenigen Worten mit ihm, lächelt ihn dabei unermüdlich gelassen an und sie macht das mit den Augen so intensiv, dass die Maske, die den Rest ihres Gesichts verdeckt, keine Rolle mehr spielt. Herrn G.s Wüten ebbt ab, langsam, flammt wieder etwas auf, beruhigt sich immer mehr, mehr als eine Stunde hält er S. auf diese Weise im Griff und löst ihn dann nur zögerlich, besinnt sich auf das Vertrauen, dass er möglicherweise aus seinem alten Leben noch erahnen kann. Am Ende gelingt ihm ein Lächeln und er ist ruhig und freundlich. S. hat wieder einmal den Menschen aus seiner Not abgeholt und in ruhigere Gewässer bzw. Empfindungen geführt.
Frau T. läuft über den Flur, orientierungslos, sucht verzweifelt ihren Mann, der längst nicht mehr lebt, das weiß sie manchmal, heute und meistens weiß sie es nicht. S. nimmt Frau T. an der Hand, läuft mit ihr ein paar Schritte, verwickelt sie in ein einfaches Gespräch, sie lässt Frau T. reden, was immer der alten Dame über die Lippen kommen will. S. nimmt sie in die Arme, hält sie einen Moment, geht mit ihr in deren Zimmer, kleidet sie liebevoll um, lässt sie weiter sinnieren über dies und das und begleitet sie freundlich und mit ruhigen Worten und Gesten zu Bett. Dort bereitet S. ihr ein gemütliches Lager, Frau T. hat sich längst beruhigt, und stellt ihr das Abendbrot bereit. S`s Augen sind wohlwollend konzentriert auf Frau T. gerichtet, die inzwischen lächelt – sie liebt es im Bett zu essen – sich wohlig einkuschelt und herzlich bedankt, ihre Dankbarkeit ist so deutlich spürbar, dass es den Beobachter tief anrührt.
Frau K. ist wütend, warum, das weiß sie nicht, im besten Fall auf alles. Sie benutzt üble Schimpfwörter und ihr Blick ist von Hass und Ablehnung erfüllt. S. redet mit ihr, gibt ihr das Gefühl, sie ernst zu nehmen, führt derweil ihre pflegerischen Handlungen sanft und mit Rücksicht auf die persönlichen Bedürfnisse von Frau K. durch und bleibt freundlich. Am Ende des Tages lachen sie und Frau K.
Was die Krankheit mit den Menschen macht, das weiß S. und ist voller Mitgefühl darüber. Viele Menschen hat S. schon in deren noch verbliebener Lebenszeit begleitet, sie versteht, nimmt an, was ist, sieht die Not ebenso wie die noch vorhandene Freude und nicht zuletzt die liebenswerte Persönlichkeit. Sie kann sich mit ihrer besonderen Art der Zuneigung zu den ihr anvertrauten Menschen auf die unterschiedlichsten Gefühlswelten einlassen. Sie ist dabei zutiefst menschlich und zugleich hochprofessionell. Sie inspiriert, lässt den stillen Beobachter innehalten und eine Situation dadurch neu gestalten. Das macht sie zu einem unverzichtbaren Vorbild im Team.
Ebenso wohlwollend und empathisch lebt S. das Miteinander mit den KollegInnen. Und glücklicherweise geht sie zum Lachen nicht in den Keller. Es sind diese heiteren Momente, die für uns alle den Stress durchbrechen, das Wichtigste wieder aufflackern lassen, nämlich die Liebe zur Berufung und die Freude am verantwortungsvollen Tun.
S. ist nicht perfekt, allerdings ist sie als Pflegefachkraft in der Seniorenpflege ziemlich nah dran.